Neues Verfahrenshilferecht
Bericht und Antrag zur Reform des Verfahrenshilferechts
Mit dem Verfahrenshilferecht (Dtl: Prozesskostenhilferecht; CH: Unentgeltliche Rechtspflege) wird auch einkommensschwachen Personen die Möglichkeit eröffnet, ihre hinreichenden Erfolg versprechenden und nicht mutwillig geltend gemachten Ansprüche vor Gericht verfolgen zu können. Das Rechtsinstitut dient somit der Verwirklichung des aus Art. 6, 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention hergeleiteten Grundsatzes der Rechtsschutzgleichheit.
In den letzten Jahren haben sich indes die Zahl der Verfahrenshilfefälle und damit verbunden die Kosten der Verfahrenshilfe in Liechtenstein stark erhöht. Zudem hatte der Staatsgerichtshof judiziert, dass der generelle Ausschluss juristischer Personen von der Verfahrenshilfe verfassungswidrig sei. Die Regierung sah sich deshalb gezwungen, das Verfahrenshilferecht grundlegend zu reformieren.
In einem ersten Schritt wurde mit Wirkung ab 1.1.2016 für Verfahrenshilfesachen ein reduzierter Anwaltstarif eingeführt (Art. 31 Rechtsanwaltsgesetz, RAG) und in § 63 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) der Verfahrenshilfeanspruch juristischer Personen festgeschrieben.
Für den nun anstehenden zweiten Schritt der Reform hat die Regierung am 10. Mai 2016 das formelle Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Dies geschieht mit der Vorlage des sog. „Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein“ (BuA 69/2016), über den der Landtag im weiteren Verlauf in zwei Lesungen beraten wird. Anschliessend steht das Gesetz Vorschrift für Vorschrift zur Schlussabstimmung an. Die Erste Lesung im Landtag wurde zwischenzeitlich bereits auf die Session vom 8.-10.6.2016 terminiert.
Mit der Regierungsvorlage sollen zunächst die bis anhin uneinheitlichen Zuständigkeiten mit Ausnahme der Bestellung des beigegebenen Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer in sämtlichen Zivil- und Strafsachen auf das Prozessgericht erster Instanz konzentriert werden.
Sodann soll die Verfahrenshilfe in Zukunft gleichzeitig mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz beim Prozessgericht gestellt werden.
Die Beigebung eines Verfahrenshelfers zur Vertretung vor Gericht wird künftig nur noch bei schwieriger Sach- oder Rechtslage gewährt. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, bleibt dem Prozessgericht überlassen und kann mit Rekurs an das Obergericht einmal überprüft werden.
Damit der betroffenen Person die Kostenfolgen des Verfahrens bewusst bleiben, soll den Gerichten neu die Möglichkeit eröffnet werden, mit der Gewährung der Verfahrenshilfe gleichzeitig auch eine Verpflichtung zu Ratenzahlungen während der aufrechten Verfahrenshilfe nach Massgabe der finanziellen Möglichkeiten der Person aussprechen zu können.
Nach Beendigung des Verfahrens wird die Partei zukünftig eine Mitteilung über die Beträge, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist, noch offen sind. Die Zustellung dieser Mitteilung löst die Verpflichtung der Partei aus, dem Prozessgericht während 10 Jahren jährlich ohne weitere Aufforderung ein Vermögensbekenntnis vorzulegen. Kommt die Partei der Vorlage des Vermögensbekenntnisses nicht nach, soll eine unwiderlegliche Vermutung greifen, dass sie zur Nachzahlung imstande ist. Soweit und sobald die Partei ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung der offenen Beträge in der Lage ist, ist sie mit Beschluss zur Nachzahlung zu verpflichten. Ebenso ist sie über Antrag zur Zahlung der restlichen Entlohnung des ihr zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalts nach dem Tarif zu verpflichten.
Man darf gespannt sein, ob die Vorstellungen der Regierung vom Landtag ohne Änderungen übernommen werden. Auf jeden Fall wird das verabschiedete Gesetz bei Prozessen in Liechtenstein auch weiterhin die einzige Grundlage für Verfahrenshilfe darstellen, wurde doch die EU-Richtlinie über Prozesskostenhilfe bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug vom 27.01.2003 (RL 2003/8/EG) nicht ins EWR-Recht übernommen.
Nachtrag vom 19.10.2016:
Der Landtag hat in zweiter Lesung der zweiten Stufe der Reform des Verfahrenshilferechts am 28.09.2016 ohne weitere Änderungen zugestimmt.
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